Geschichte der Schwarzerden Gymnastik


Die Schwarzerdener Gymnastik wurde von Elisabeth Volger entwickelt. Ihren Namen verdankt sie dem schönen Ort Schwarzerden in der Rhön, unterhalb der Wasserkuppe, an dem sie zunächst angesiedelt war. Später wurde der Bodenhof der neue und bleibende Ausbildungs- und Aufenthaltsort für Lehrende und Lernende. Hier entwickelte Frau Volger ihre Ideen für eine sozial-angewandte, gesundheitlich ausgerichtete Bewegungserziehung.


Zunächst wurden diese Inhalte vor allem für Lehrerinnen und Erzieherinnen in Form von Seminaren angeboten, bis 1927 eine eigenständige Gymnastikschule, die Gymnastikschule Schwarzerden, gegründet wurde. Im Laufe der Zeit entwickelte sich daraus eine Ausbildung von 5 Semestern einschließlich eines Praktikums. Später wurde die Ausbildung auf 6 Semester verlängert und es wurde das staatliche Diplom für Gymnastik und Gesundheitspädagogik vergeben. Viele Jahre waren es vor allem junge Frauen aus ganz Deutschland, die sich für die Ausbildung entschieden, in den 80er Jahren kamen auch junge Männer hinzu.

Zu den Inhalten der Gymnastikausbildung gehörten Fächer wie Grundbewegung, Haltungsschulung, Bewegung mit Geräten, Bewegungsimprovisation und -gestaltung und Tanz.

In den höheren Semestern gab es das Fach Lehrproben. Dazu gehörten ein schriftlicher Entwurf, eine praktische Lehrprobe und ein anschließendes Kolloquium. Der musische Bereich, der eine wichtige Rolle spielte, umfasste das Spiel auf Orff-Instrumenten, Musiktheorie, Rhythmik und Bewegungsspiele. Weitere wichtige Ausbildungsinhalte waren Krankengymnastik, Massage und Hydrotherapie. Theoretische Fächer waren Anatomie und Physiologie, Pädagogik und Psychologie, Bewegungslehre, Didaktik und Methodik, Geschichte, Deutsch, Politik und Sozialkunde.

Die Inhalte der gymnastischen Fächer wurden im Laufe der Jahre in Schwarzerden vielfältiger und erhielten neue Impulse durch Lehrkräfte, die mit neuen Ideen von außen kamen.

Heute findet man unter dem Begriff "Gymnastik" vor allem Spezialisierungen, die auf bestimmte Funktionsbereiche oder Ausdrucksformen ausgerichtet sind: Rückengymnastik, Wassergymnastik, Hochgymnastik, Wettkampfgymnastik, Skigymnastik, Rhythmische Sportgymnastik etc.

Die Schwarzerdener Gymnastik unterscheidet sich von diesen und anderen Gymnastiken vor allem durch ihre ganzheitliche Ausrichtung auf die individuelle Bewegung des Menschen. So wie Größe, Körperform und Gewicht des Menschen eine eigene Aussage haben und die Bewegung prägen, so sind auch innere Höhen wie soziale und geistig-seelische Befindlichkeiten für die Entwicklung und Bildung des Individuums durch Bewegungsbildung von Bedeutung und ein Wesensmerkmal der Schwarzerdener Gymnastik.
Auch das Leben in der Rhöner Landschaft und die Gemeinschaft waren neben der gymnastischen Ausbildung weitere prägende Eindrücke und Entwicklungserfahrungen für die Schwarzerdenerinnen.

Gymnastik als ganzheitliches Bewegungsangebot, das den Menschen jeden Alters in und mit seiner Vielfalt anspricht und ihm die Möglichkeit gibt, sich in dieser Vielfalt zu erleben - sei es als Einzelner oder in der Gruppe - das ist der Weg, den Frau E. Volger mit ihren Ideen eingeschlagen hat. Bis heute finden sich Schwarzerdenerinnen, die diesen Weg kennen und weitergeben.

Zu den Grundlagen der Schwarzerdener Gymnastik gehören die Erfahrung und das Wissen um die anatomischen und physiologischen Zusammenhänge der Bewegung sowie die Berücksichtigung der Individualität des Einzelnen.
Beim Gehen beispielsweise, einer der Grundbewegungsarten, gehört das Bewusstsein für die Fußarbeit ebenso dazu wie das Raum- und Richtungsverhalten. Das Schrittmaß entsprechend der individuellen Beinstellung sowie die Dynamik in der Bewegung sind gestalterische Elemente, die individuell erfahrbar und umsetzbar sind.

In der "Haltungsschule" geht es darum, die Zusammenhänge von Haltungsaufbau, Bewegungsansätzen und Bewegungsentwicklung zu erleben und in ihrer Wirksamkeit zu verfolgen. Anatomische und physiologische Kenntnisse sind als Grundlage für Gesetzmäßigkeiten im Bewegungsablauf von großer Bedeutung.

Im Fach Bewegung mit Gerät ist der besondere Umgang mit dem jeweiligen Charakter des Gerätes zu finden. Die Arbeit mit dem Gerät ist mit Beziehungsarbeit zu vergleichen. Wie verhalte ich mich, wie reagiert das Gerät auf meine Bewegung - was gebe ich, was gibt mir das Gerät? Wo finde ich den Partner im Gerät, der mir vertraut ist oder mich zu neuen Seiten, zu verändertem Verhalten herausfordert?
Ein Ball erfordert ein anderes Bewegungsverhalten als ein Luftballon, ein Seil hat ganz andere Eigenschaften als ein Stab. Eine Holzkugel fordert sowohl zu spielerischem als auch zu kreativem Umgang heraus.

Bewegungsimprovisation und Bewegungsgestaltung sowie Tanz wecken und fördern die schöpferischen Kräfte im Menschen. Eigene Ideen, Vorlieben und Interessen finden hier ihren Raum und können mit den gesammelten Bewegungserfahrungen aus der Gymnastik umgesetzt werden.

In der Improvisation werden Spontaneität und Intuition lebendig, in der Gestaltung werden formende, gestaltgebende Kräfte aktiv und im Tanz besteht die Möglichkeit, in vorgegebene Rollen zu schlüpfen (z.B. im Volkstanz) oder sich völlig frei zu bewegen.

Die Schwarzerdener Gymnastik ist zeitlos, sie bietet in ihrer Vielfalt ein großes Angebots- und Erfahrungsfeld für alle Altersgruppen. Schwarzerdenerinnen sind heute in vielen pädagogischen und therapeutischen Einrichtungen zu finden. Sie arbeiten mit allen Altersgruppen und sind durch ihr ganzheitliches Angebot sozial ausgerichtet. Da durch die Inhalte und die Arbeitsweise u.a. Achtsamkeit, Sozialverhalten, Fitness, Selbsterfahrung und Bewusstheit in der Bewegung vermittelt werden, ist die Schwarzerdener Gymnastik auch heute noch hochaktuell.